Back Down to Earth


[Buchrezension] Angstmädchen - Jenny Milewski

Ich hatte den Lappen aus den Putzsachen in dem Schrank geholt und gerade wieder einen Schritt in Richtung Bad gemacht, als ich eine plötzliche Bewegung wahrnahm, aufschrie und den Lappen fallen ließ. Gleich hinter der Badezimmertür war der Spiegel zu sehen, er glitzerte schwach in dem matten Schein der Straßenlaterne vor dem Fenster. Und genau als ich mich umdrehte, hatte ich gesehen, wie sich drinnen im Spiegel etwas bewegte. Oder besser gesagt jemand.
Es hatte nur einen Augenblick gedauert, und durch die Dunkelheit im Raum war das Bild verschwommen, aber ich war dennoch sicher, etwas gesehen zu haben. Eine schemenhafte Gestalt in Weiß, die hastig von einer Seite des Spiegels zur anderen gehuscht war, gebückt und mit abgewandtem Gesicht.

INHALT
Malin erhält endlich ein Zimmer in einem Studentenwohnheim - ihr eigenes kleines Reich und damit keine Untermiete mehr bei der griesgrämigen Frau, bei der sie vorher wohnte. Die Freundin, die ihr beim Umzug hilft, ist begeistert vom Zimmer, insbesondere von dem angrenzenden Bad mit Badewanne. Doch Malin überkommt schnell ein ungutes Gefühl, das sich bestätigt, als sie etwas Schreckliches erfährt: Dass sich in dieser Badewanne ihre Vormieterin Yuko die Pulsadern aufgeschnitten und damit umgebracht hat. Bald geschehen seltsame Dinge - sie findet überall schwarze Haarbüschel, Wasserpfützen tauchen aus dem Nichts auf, der Fernseher schaltet von selbst um. Und als sie auch noch eine Gestalt in Weiß zu sehen beginnt, ahnt sie Böses. Yuko ist noch immer da. Doch was will sie?

MEINE MEINUNG
Jenny Milewski vereint in "Angstmädchen" Thriller und Horror zu einem packenden und schaurigen Roman - auch wenn sie dabei kaum ein Klischee auslässt. Ein totes Mädchen? Check. Seltsame Vorkommnisse? Check. Unwissende Protagonistin? Check. Eine gruselige Gestalt mit langen schwarzen Haaren? Aber sowas von Check. Da ich jedoch ein furchtbarer Angsthase bin, hat mich das eher weniger gestört - vor allem, weil die Autorin das auf gelungene Weise mit japanischen Geistergeschichten verbindet, die einem nicht wenige Schauer über den Rücken jagen.

Malin ist eine zumeist glaubwürdige und sympathische Protagonistin, deren Gefühle nachvollziehbar sind - ihr Wunsch, akzeptiert und angenommen zu werden, ihre leise mitschwingende Einsamkeit, ihre schüchterne Art. Manchmal geht sie zu wenig aus sich heraus, sodass sie Gelegenheiten ungenutzt verstreichen lässt, aber es gibt auch immer wieder tolle Momente, in denen sie Verantwortung übernimmt. Ihre Mitbewohner sind leider eher Klischees, und auch, wenn sie einen manchmal zu überraschen wissen, hat man vom Nerd, vom Besserwisser oder von der Zicke schon oft genug gelesen. Yuko ist wohl die interessanteste und wichtigste Figur des Romans, aber man erfährt nur wenig über sie und ihre Hintergründe. Letztendlich ist das aber auch nicht so schlimm - denn wirkliche Antworten hätte das sowieso nicht gegeben.

Der Autorin gelingt es sehr schnell, eine bedrohliche und bedrückende Atmosphäre aufzubauen. Das geht schon damit los, wie erschrocken die Studenten beim Anblick von Malin sind, weil sie Yuko so ähnlich sieht. Die Vorkommnisse beginnen klein und unbedeutend, werden aber schnell immer heftiger und gruseliger. Ich gebe zu, ich hatte mindestens eine schlaflose Nacht, weil die Stimmung so intensiv war - obwohl man all das eigentlich aus jedem 08/15-Horrorfilm kennt, war es als Buch doch noch mal etwas anderes. Man darf aber nicht damit rechnen, zum Schluss komplett aufgeklärt zu werden. Es geht um Onryō, um japanisches Volkstum, das im Gegensatz zu modernen oder westlichen Geistergeschichten keinen Sinn hinter Erscheinungen sieht - sondern diese mehr hinnimmt. Das muss man mögen, sonst ist die Enttäuschung wohl unausweichlich. Ich finde den Gedanken interessant wie fürchterlich, weswegen der Schluss meiner Meinung nach perfekt zum Rest passt.

FAZIT
Jenny Milewski erzählt eine schaurige, faszinierende Geistergeschichte, inspiriert von japanischer Folklore und ungemein spannend - auch wenn sie dabei so ungefähr jedes Stereotyp mitnimmt. Trotzdem konnte ich mich nicht losreißen und schlafen sowieso nicht. Wer auf der Suche nach Nervenkitzel ist, sollte es hiermit probieren. 4 Punkte!


Titel: Angstmädchen
Originaltitel: Yuko
Reihe: Nein
Autor: Jenny Milewski
Übersetzer: Maximilian Stadler
Verlag: Heyne
Seitenzahl: 336 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-43880-4

  2 Kommentare:

  1. Moshi moshi, Ashai.
    Demnach Geister weniger Erscheinung, denn existent wie der Windhauch oder das Rot des Mondes wären. Anmerkenswert.
    Klischees sind Bilder in unserem Kopf; wobei es an jeweils der Story liegt sie an der richtigen Stelle anzutippen. Schon hat uns eine Welt gefangen.

    bonté

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    Antworten
    1. Japanische Geistergeschichten sind da tatsächlich ganz anders als die der westlichen Welt, die üblicherweise versucht, den Wesen irgendwie beizukommen. In Japan wird das halt hingenommen, wie du auch formulierst. Weitaus gruseliger finde ich...

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Die Bloggerin

Kittyzer, 22 Jahre alt, früher als Sonne bekannt. Gebürtige Niedersachsin, die für die Arbeit nach Rheinland-Pfalz gezogen ist. Schreibt über Bücher, Filme, Serien und Mainz. Um mehr zu erfahren, → klicke hier

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