[Buchrezension] Die Eleganz des Igels - Muriel Barbery
Der Abend könnte sehr gut nichts weiter als eine Einführung in die asiatische Küche werden. Fern sei mir Tolstoi und fern jeder Verdacht: Monsieur Ozu, ein neuer Hausbewohner, der mit der hierarchischen Ordnung nicht sehr vertraut ist, lädt seine Concierge zu einem exotischen Abendessen ein. Sie unterhalten sich über Sashimis und Nudeln mit Sojasauce.
Gibt es eine harmlosere Situation?
Da passiert die Katastrophe.
Renée ist 54 Jahre alt und lebt seit 27 Jahren als Concierge in der Rue de Grenelle in Paris. Sie ist klein, hässlich, hat Hühneraugen an den Füßen, ist seit längerem Witwe - und intelligenter als sie sich zeigt. Paloma ist 12, hat reiche Eltern, wohnt in demselben Stadtpalais - und plant, Selbstmord zu begehen. Beide sind sie gefangen in der Eintönigkeit ihrer Leben, bis der Japaner Kakuro Ozo einzieht und mit diesem auch die Fröhlichkeit wieder Einzug hält...
BUCHAUFMACHUNG
Bei dem Titel des Buches könnte man sich wundern, warum auf dem Cover eine Katze abgebildet ist. Tatsächlich hat das aber absolut Sinn und Zweck - die Eleganz des Igels wird zwar angesprochen, die schönen, felligen Vierbeiner spielen aber des Öfteren eine entscheidende Rolle im Roman.
Die Gestaltung wirkt vielleicht leicht eintönig, passt aber im Grunde sehr gut zu der Philosophie und der ruhigen Schönheit, die in diesem Buch stecken.
MEINE MEINUNG
Vor circa zwei Monaten hat mich eine Freundin dazu überredet, dieses Buch auszuleihen - gelesen hatte sie es selbst noch nicht, aber Gutes von Freunden gehört. Als ich es jedoch zuhause hatte, schob ich es ewig lange vor mir her - ist die Sprache doch sehr stark und erfordert sie doch große Konzentration. Nun habe ich es aber endlich geschafft und bin unglaublich froh darüber. Denn was einen zwischen diesen Buchdeckeln erwartet, ist wahrlich lesenswert.
Muriel Barbery nutzt für ihr Werk eine sehr poetische und schwere Sprache - durchsetzt von vielen Fremdwörtern, philosophischen Gedanken und geschachtelten Sätzen. Das ist vor allem anfangs sehr gewöhnungsbedürftig; jedenfalls war es das für mich, bin ich doch sonst eher einfachere Stile gewohnt. Nach dem Einlesen allerdings lernte ich, damit umzugehen und die wirklich intelligenten Gedankengänge und Monologe auch zu schätzen.
Das Problem ist nur, dass man sich bei diesem Werk erstmal stark in Geduld üben muss, denn die ersten 100 Seiten bestehen im Grunde nur aus Gedanken, den Vorstellungen der Charaktere und der Darbringung der verschiedenen Lebensweisen von Paloma und Madame Michel. Beide sind zwar von Anfang an sehr interessant, vor allem in ihren bitterbösen Passagen, in denen sie Kritik üben, dennoch wirkte es zumindest auf mich sehr ermüdend - bis der neue Bewohner, Kakuro Ozu, nämlich einzieht, dauerte es meinem Gefühl nach schier ewig.
Danach aber fing es so richtig an, Spaß zu machen. Die Protagonistinnen hat man gut genug kennengelernt, um sich vollkommen in sie einfühlen und so ihre Tage miterleben zu können. Renée, die Concierge, die so gar nicht dazu passt, was man unter einer Concierge versteht - sie schaut weder den ganzen Tag fern, noch liest sie nur einfache Literatur. Nein, stattdessen versteckt sie ihre Intelligenz, aus Angst, wie man später erfährt. Auch Paloma ist sehr intelligent, ja, hochbegabt, doch in ihrer Familie wird sie nicht verstanden. Um dem "Goldfischglas" zu entgehen, in das jeder Erwachsene ihrer Meinung nach eines Tages kommt, plant sie ihren Selbstmord an ihrem 13. Geburtstag. Doch sowohl ihre Pläne als auch die sorgfältig gehütete Unscheinbarkeit der Concierge werden gestört, als Kakuro Ozu in ihr Leben tritt.
Der ältere Japaner ist sehr interessant. Von Anfang an durchschaut er sowohl Madame Michel als auch Paloma und weiß die Klug- und Wortgewandtheit der beiden sofort zu schätzen. Seine Art, die Dinge zu sehen, hat mich oftmals fast ebenso berührt wie die der beiden Hauptfiguren, auch wenn er nicht selbst spricht. Natürlich ist in seiner Person auch einiges an Klischees verwurschtelt worden - der immer-lächelnde, höfliche Japaner mit dem guten Einrichtungsstil...Das allein war für mich nicht schlimm. Was mich nur störte, war nur, dass dafür fast komplett die übrigen Hausbewohner in die Schublade der Snobs gesteckt wurden - und Ozu als einziger da herausstechen sollte. Das erschien mir doch etwas unglaubwürdig.
Die Geschichte allerdings nimmt aber ab dem Einzug ebendieses Japaners an Fahrt auf. Seine Weise, mit den Menschen umzugehen und Renée unverblümt mitzuteilen, dass er weiß, dass sie intelligenter ist als sie tut, bringt bald Leben in das Haus. Er veranlasst die Concierge dazu, sich die Haare zu schneiden und sich ein Kleid zu kaufen, lässt Paloma noch mal über den Sinn des Lebens und ihren Selbstmord nachdenken...Er verändert viel, auch die gesamte Atmosphäre im Haus - etwas, was Barbery perfekt rübergebracht hat.
Auch diese kleinen Spitzen, diese Zeigefinger-Stupser, sind äußerst unterhaltsam. Besonders Paloma hat eine wunderbare Sicht auf die Menschen und die Welt, über die ich oftmals schmunzeln musste. Beide Hauptfiguren sind manchmal bitterböse, außen stachelig, aber innen weich, verletzlich und gutherzig. Sie versuchen, ihren Platz in allem zu finden - mit der Eleganz des Igels? Etwas, was mir sehr gefallen hat.
Das Ende dann hat mich umgehauen und schockiert zurückgelassen. Nie, niemals hätte ich damit gerechnet, dass die Autorin ihren Roman so ausgehen lassen würde. Grade wendet sich alles zum Guten, und dann...Ich war entsetzt und konnte es nicht fassen, war gleichzeitig aber auch unendlich berührt, auch von Palomas poetischen Abschlussworten. Wunderschön und sehr, sehr rührend!
FAZIT
"Die Eleganz des Igels" ist ein Buch von Stärke, Witz und Poesie. Oftmals philosophisch, manchmal tragisch und der Spaltung zwischen Arm und Reich gegenüber kritisch - alles etwas, was klasse gelungen ist. Leider ist aber auch der Einstieg mehr als langsam und zäh, ebenso sind die Figuren zwischendurch etwas zu klischeehaft gezeichnet worden, daher ein Punkt Abzug. Aber definitiv lesenswert!
Titel: Die Eleganz des Igels
Originaltitel: L'Elégance du hérisson
Reihe: Nein
Reihe: Nein
Autor: Muriel Barbery
Übersetzer: Gabriela Zehnder
Verlag: dtv
Seitenzahl: 384 Seiten
ISBN-13: 978-3423138147
Sehr schöne Rezi, das buch werde ich mir für nächstes jahr auf meine leseliste packen,vlg misa
AntwortenLöschenAch ist das eine schöne Rezension! Ich stand auch schon in der Bibo vor diesem Buch. Nach dieser Rezi werde ich es mir nächstes Mal wohl mit nehmen :)
AntwortenLöschenDAnke!
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenIch bin auch schwer in die Geschichte reingekommen (hab das Buch schon vor ca. 3 Jahren gelesen) und habe für das Buch 4 Punkte vergeben. ;-)
AntwortenLöschenLG
Sabine