[Buchrezension] Legend: Fallender Himmel - Marie Lu
Mein verletztes Bein fühlt sich an, als könnte es jeden Moment seinen Verband sprengen und so dick anschwellen, bis es das ganze Dach ausfüllt.
Stunden vergehen. Ich verliere jedes Zeitgefühl. Soldaten kommen und gehen mit jedem Schichtwechsel. Die Sonne wandert über den Himmel.
Dann, als die Sonne endlich barmherzig zu sinken beginnt, sehe ich, wie jemand aus dem Aufzug steigt und auf mich zukommt.
Day ist der meistgesuchteste Verbrecher der Stadt und kann den Soldaten und Polizisten doch immer wieder entkommen. June indes wurde nach dem Tod ihres Bruders befördert und soll Day nun finden und verhaften. Doch als sie diesem zum ersten Mal gegenübersteht und sogar einige Tage in seiner Gesellschaft verbringt, kommen ihr Zweifel. Wie kann dieser freundliche und für seine Familie sorgende Junge ein Mörder sein? Und was hat es mit den Fakten auf sich, die er über die Regierung zu wissen behauptet und die sie sich fragen lassen, ob ihr ganzes Leben eine Lüge ist? June und Day kommen Dingen auf die Spur, die sie nie für möglich gehalten hätten - und so auch dem echten Täter, was sie in große Gefahr bringt...
BUCHAUFMACHUNG
Ein "legendärer" Hingucker ist das Werk ganz bestimmt. Mit dem rauen weißen Umschlag, der goldenen, erhabenen Schrift und dem Zeichen der Republik kann man eigentlich nicht dran vorbeigehen. Das violette Lesebändchen passt wunderbar zur Farbe des Untertitels und des Autorennamens. Die Übernahme der Hauptbestandteile des Originalcovers war die beste Entscheidung - wunderschön!
MEINE MEINUNG
Hypes um Bücher, wie auch bei "Legend", machen mich grundsätzlich skeptisch. Denn oftmals steckt nicht so viel dahinter wie man meinen könnte. Dennoch sollte man sich vor dem Urteil immer eine eigene Meinung bilden, weshalb ich mir das Buch nicht entgehen lassen konnte. Letztendlich muss ich aber tatsächlich sagen: Legendär ist etwas anderes.
Marie Lus Dystopie ist, relativ ungewöhnlich für das Genre, aus zweierlei Sichten geschrieben. Day und June unterscheiden sich in den abwechselnd erzählten Kapiteln aber nur unwesentlich. Ohne die Namen über den einzelnen Abschnitten hätte ich wohl oftmals nicht gewusst, wer grade spricht. Der Schreibstil ist einem Jugendroman angepasst und weiß durch die Beschreibungen der für uns fremden Welt zu überzeugen, besitzt ansonsten aber nur eine Besonderheit: Dass June in ihren Passagen innerhalb von Klammern auf bestimmte Details eingeht und diese dann, besonders in aufgeregten Situationen, hinunterrattert. Dies gibt einen guten Einblick in ihre Psyche und wie sie versucht, sich selbst zu beruhigen.
Weiter erscheinen die Protagonisten allerdings hauptsächlich austauschbar. Day ist keiner dieser männlichen Charaktere, die man gern mal in der Wirklichkeit treffen würde, sondern kann sich offensichtlich nicht zwischen leichtem Macho-Gehabe, Fürsorge für seine Familie und unglaublich schneller Gefühlsentwicklung entscheiden. Zudem war ich mir nicht sicher, wie er es durch seine Rechtschaffenheit zu einem solchen Verbrecher hat schaffen können...June überzeugt da schon ein wenig mehr. Sie liebt ihren Bruder und ist daher verständlicherweise voller Hass auf den Mörder dessen. Sie wirkt zwischenzeitlich recht kalt, was aber nachvollziehbar ist, und hat aufgrund ihrer Herkunft auch einige Zweifel an Days Geschichte. Im Laufe der Handlung macht sie eine glaubwürdige Wandlung durch, bleibt aber dennoch nicht durch viele Eigenheiten im Gedächtnis. Allerdings konnte ich es einer 15jährigen einfach partout nicht abnehmen, Elite-Soldatin und von allen gefürchtet zu sein...
Thomas, ein Freund ihres Bruders, ist vielleicht die vielschichtigste Figur im ganzen Buch, und das sagt schon etwas aus, denn auch ihn könnte man mit Leichtigkeit ersetzen. Seine Skrupellosigkeit und vor allem sein fast schon wahnhaftes Befolgen der Befehle machen ihn zu einem recht interessanten Charakter. Die Gründe für sein Verhalten werden allerdings nicht komplett klar, obwohl an dieser Stelle noch viel Spielraum gewesen wäre. Andere Nebenfiguren wie der nur wenig auftauchende Bruder von Day oder das Waisenmädchen Tess bleiben blass und scheinen als Lückenfüller zu fungieren, was für den Leser äußerst schade ist.
Auch die Liebesgeschichte zwischen Day und June geht so unglaubwürdig schnell, dass ich bei dieser kein bisschen mitgerissen wurde. Auf Seite 135 begegnen sie sich zum 1. Mal, auf Seite 167 folgt schon eine wilde Knutscherei und sie haben bereits herausgefunden, dass sie sich unheimlich attraktiv finden und ineinander verliebt sind. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in einem Buch schon einmal einer schnelleren Gefühlsentwicklung beiwohnen "durfte" und dementsprechend genervt war ich auch. Hier hätte sich eindeutig viel mehr Zeit gelassen werden müssen! Interessant ist dagegen, dass diese Dystopie vollständig auf die Details verzichtet, wie es zu dem neuen System überhaupt kam. Dies verhindert einerseits, dass sich mit zu vielen Informationen aufgehalten und der Fortschritt der Geschichte verlangsamt werden kann, andererseits wären wenigstens ein paar Aspekte schön gewesen. Das wird hoffentlich in den weiteren Bänden nachgeholt.
Die Autorin schafft es dafür, den Leser durch Cliffhanger an den Enden der Kapitel und einige Action zu fesseln. Auch die aufzudeckenden Geheimnisse tragen dazu bei, allerdings können nur wenige davon überraschen. Dafür hat man zu viel davon einfach schon gelesen - die das Volk unterdrückenden Widersacher, ein böses Oberhaupt, ein Mörder in den eigenen Reihen...Dennoch, spannend ist es bis zum Ende, während langsam die Rebellion in Gang kommt und eine Flucht geplant werden muss. Diese ist wunderbar zu verfolgen, besonders durch die Hindernisse, die sich den Figuren in den Weg legen. Dass das Ganze aber nur durch eine arg weit hergeholte Heldentat einer Person, die man kaum kennen lernen konnte, gelingt, konnte mich nicht überzeugen. Dennoch: Potenzial für die Nachfolger ist da. Vielleicht gelingt es Marie Lu ja dann, mich für das Buch zu gewinnen und nicht nur für die Idee eines Filmes dieser Art. Denn ich werde das Gefühl nicht los, dass das Skript in diesem Bereich besser aufgehoben gewesen wäre...
FAZIT
"Legend" war für mich leider kein legendäres Leseerlebnis, eher ein mittelmäßiges. Dafür wird dem Leser hier einfach zu wenig Neues präsentiert. Die Figuren sind oft austauschbar, die Liebesgeschichte wirkt gehetzt und kann nicht mitreißen und das Ende ist seltsam einfallslos. Ich möchte zwar wissen, wie die Rebellion weitergeht - aber Priorität hat dies nicht. 3 Punkte!
Titel: Legend - Fallender Himmel
Originaltitel: Legend
Autor: Marie Lu
Übersetzer: Sandra Knuffinke, Jessica Komina
Verlag: Loewe
Seitenzahl: 363 Seiten
ISBN-13: 978-3785573945
Interessant das zu lesen. Ich muss sagen, dass mich "Legend" überhaupt nicht angesprochen hat und ich denke, ich werd's eher nicht lesen.
AntwortenLöschenInteressant, dass du nicht so begeistert von dem Buch bist, denn ich hatte irgendwie das Gefühl ausschließlich positive Bewertungen gesehen zu haben. Aber deine Kritikpunkte sind absolut nachvollziehbar. Mal sehen, ob ich das auch irgendwann lesen werde. Sehr gut geschrieben :-)
AntwortenLöschenLiebe Grüße, Diti
Sehr schön geschrieben! Ist bei mir meistens auch so, dass die Bücher, wo ein mordsmäßiger Hype entsteht in Wirklichkeit ich gar nicht so gut finde. Bestes Beispiel: Die Auswahl. Ist aber auch nicht immer so ;)
AntwortenLöschenDas mit deiner Antwort ist kein Problem! Begebe mich dann auch bald ins Skype - vielleicht schreibt man sich dort, auch wenn du vollends beschäftigt bist ;)
Liebe Grüße
Lisa
Also ich muss auch sagen, dass sehr gehypte Bücher mit oftmals etwas die Lesefreude nehmen. Und währenddessen oder hinterher frage ich mich dann immer "War das jetzt echt gut, oder waren meine Erwartungen zu hoch?" Du weißt ja, dass mir Legend sehr gut gefallen hat. Ich fand das Leseerlebnis toll! Nicht mal die schnelle Lovestory fand ich schlimm, weil Day für mich einfach ein kleiner Straßenchambolzen war :-) und ein großer Fokus lag auf der Lovestory ja auch nicht. Day, June und Tess mochte ich sehr. Vor allem Day, wie er sich um seine Familie kümmert, gefiel mir. June, weil sie nicht ganz einfach war.
AntwortenLöschenIch hatte auch Kritik (zB Johns "Heldentat", dazu kannte man ihn zu wenig). Und Gewalt ist natürlich ein Stichwort (mit dem ich aber gut klarkomme).
Schade, dass es für dich nur mittelmäßig war, aber wenigstens konntes es dich etwas unterhalten :-)
LG,
Damaris
sehr interessante Rezi.
AntwortenLöschenBisher habe ich nur gute Meinungen gehört und eigentlich ist einem ja klar, dass das Buch nicht viel neues bieten kann, aber man lässt sich halt gerne einlullen :D
@Katie:
AntwortenLöschenIch denke, dass du "Legend" auch nicht besonders berauschen fändest, wenn ich das mal so sagen darf. Dafür ist es einfach zu mittelmäßig. Aber vielleicht leihst du es dir ja mal irgendwo aus, denn deine Meinung würde mich sehr interessieren ;)
@Diti:
Danke dir! Ich hab schon mehrere schlechte bis mittelmäßige Rezensionen gelesen, bspw. bei Reni oder bei Lisa von MuPha. Ich denke, das Buch mag man oder man mag es nicht. Dir wäre es aber mit ziemlicher Sicherheit zu klischeehaft!
@Lisa:
Mir geht das auch ganz oft so, daher war ich auch so skeptisch - zu Recht, wie ich meine. Ein schönes Cover reicht eben nicht immer aus...Leider ;)
@Damaris:
Genau so ging es mir hier auch. Nach der Lektüre dachte ich noch, dass es ja eigentlich ganz gut war und ich den meisten doch zustimmen kann. Erst im Nachhinein, beim Schreiben der Rezension, stellte ich fest, dass ich doch nicht so überzeugt war. Ich denke, das kommt einfach ganz drauf an! Day konnte mir einfach nicht so wahnsinnig zusagen und den Rest habe ich schon mal irgendwo gelesen. Dennoch freut es mich natürlich, dass es dir gefallen hat ;)
@Sandrina:
Genau, ich habe mir auch mehr oder weniger ein bisschen überreden lassen :D Solltest du dich dazu hinreißen lassen: Viel Spaß!
Grüß Dich Sonne.
AntwortenLöschenEinen Roman gleichwertig von zwei Figuren erzählen zu laßen, ist hohe Kunst. Immerhin sollten sich dabei zwei Persönlichkeiten und ihre Sicht auf die Geschehnisse einstellen. Treffen beide aufeinander wird es erst richtig interessant. Wie Du aber anmerkst, wirkt alles aus einem Guss - als wäre die Einteilung in "Day" & "June" erst nachträglich festgelegt.
Amüsant fand ich Deine Formulierung von den "Hindernissen, die sich den Figuren in den Weg legen". Origineles Bild.
Die Hindernisse: "Kommt schon, stolpert über uns!" :-)
bonté
Legendär! Deine Rezi meine ich jetzt, nicht das Buch. Sie gibt meine Empfindungen fast 1:1 wieder. Mir ging es da übrigens wie dir! Während des Lesens war ich noch begeistert - die letzten Seiten dämpften dieses Gefühl dann - und auch kurz dannach war es für mich immer noch ein gutes 4 Sterne Gefühl. Doch je mehr ich über das Gelesene nachdachte und auch beim Schreiben meiner Review, legten viele der Kritikpunkte immer mehr an Gewicht zu. Das liegt zum Teil wohl auch an dem Hype. Da erwartet man einfach was ganz außergewöhnlich Gutes und das ist "Legend" für mich einfach nicht. Dazu fehlt es dann doch einfach an zu vielen Enden & Ecken. Ich gebe dir auch in folgendem Punkt recht: als Drehbuch ist die Story sicherlich gut geeignet. Im Film erwartet man zwar auch eine gewisse Tiefe/eine plausibel aufgebaute Welt, aber dafür würde es schon wieder reichen - denke ich. :)
AntwortenLöschenLG, Reni
@RoM:
AntwortenLöschenIch bin mir auch ziemlich sicher, dass so ein Buch aus zwei verschiedenen Sichten schwer ist. Wenn man sich dafür entscheidet, muss man es aber dennoch gut machen. Wenn ich keinen Kuchen backen kann lasse ich es doch auch anstatt dass mein Herd explodiert :D
Und ja, die Formulierung ist vielleicht etwas holprig, ähem. Mir fällt allerdings nichts besseres ein...
@Reni:
Es freut mich total, dass dir mein Geschreibsel gefällt :D Nach der Lektüre dachte ich auch: "Reni hatte so Recht"! Und wie du auch beschreibst, bei der Revision und dem Niederschreiben wiegt doch alles irgendwie noch einmal ein Stück schwerer...
Da können wir ja mal gespannt sein, was der Film so zu bieten hat!