[Buchrezension] Renegade: Tiefenrausch - J. A. Souders
Stirnrunzelnd dreht sich Gavin zu mir um. "Was soll das?" Doch mir gefriert das Blut in den Adern. Ich muss nicht erst die Schreie der Passagiere in den Wagen vor uns hören, um zu begreifen, was gerade geschieht.
"Sie hat die große Röhre geflutet", quetsche ich noch hervor, dann strömt eiskaltes Wasser in den Waggon.
Eigentlich ist Evies Leben perfekt. In der Unterwasserstadt Elysium, die zum Schutz vor den barbarischen Oberflächenbewohnern und dem Krieg errichtet wurde, lässt es sich nicht nur wunderschön leben, auch herrscht Friede und Ordnung. Evie ist die Tochter des Volkes und soll eines Tages die Führung übernehmen. Doch dann gelangt Gavin in das Reich - Gavin, der aus der eigentlichen Welt stammt. Die Herrscherin über Elysium setzt alles daran, ihn töten zu lassen. Doch nur durch ihn gelingt es Evie, sich endlich von den Erinnerungslücken und seltsam einstudiert wirkenden Phrasen zu lösen. Und sie erkennt, dass die eigentliche Gefahr nicht er ist, sondern ihre eigene Mutter...
BUCHAUFMACHUNG
Überraschenderweise kann das deutsche Cover dieses Mal viel mehr überzeugen als das originale. Der gesamte Umschlag ist in einem wunderschönen Blau gehalten, an dessen oberem Rand Blasen aufsteigen. Ein riesiger Tropfen, in dem ein Mädchen gefangen ist, bildet den Eyecatcher und deutet auf die wenige Freiheit der Menschen hin. Schade ist nur, dass die junge Frau schwarzhaarig ist, wo die Bewohner der Stadt doch alle blond und blauäugig sind...Unter dem Umschlag kommt ein wunderschönes, violett-pinkes Buch zum Vorschein, das zu dem pinken Lesebändchen passt und auch so im Regal ein einziger Hingucker ist.
MEINE MEINUNG
Wenn ein Buch so hoch gelobt wird, wie es bei "Renegade" der Fall ist, dann bin ich erst einmal skeptisch. Natürlich, schließlich werde ich ungern enttäuscht. Doch das ist hier in der Tat völlig unbegründet: Denn dieses Debüt hat es in sich!
J. A. Souders hat ihre Geschichte aus Evelyns Ich-Perspektive im Präsens verfasst, weswegen man sich gleich fühlt wie mittendrin. Das Ganze ist jugendlich, aber authentisch, und kann besonders durch wunderbar bildliche Beschreibungen überzeugen. Besonders anfangs macht ihren Stil jedoch noch ein weiteres Detail aus: Dass einige Gedanken nämlich in hellgrauer Schrift verfasst sind. Diese kommen nicht von Evie selbst, was der Leser schnell erkennt, geben dem Buch aber das gewisse Etwas: Nämlich, dass sofort klar ist, dass da etwas nicht stimmt. Dass das nicht die eigenen Gedanken der Protagonistin sind, macht es fast schon gruselig, gleichzeitig aber auch spannend, weil man unbedingt wissen möchte, was dahinter steckt.
Evelyn eine sympathische Hauptperson, die sowohl starke als auch schwache Seiten hat. Ihre Unsicherheit macht sie menschlich, gleichzeitig bleibt sie dem Leser durch die beinahe ständige Kontrolle ihrer Gedanken von außen manchmal auch etwas fern. Sowohl ihre Taten, Reaktionen als auch Emotionen sind für den Leser dafür allerdings durchweg nachvollziehbar, weswegen die Identifikation einfach ist. Gavin ist zwar ein ebenso liebenswerter Charakter, kann sich aber von anderen männlichen Protagonisten nicht übermäßig abheben. Er ist stark, hat perfekte Bauchmuskeln und sieht gut aus. Ansonsten ist er noch ein bisschen eifersüchtig und schlussendlich der perfekte Beschützer. Dennoch wird er nie nervig, weil seine Vorzüge nicht übertrieben dargestellt werden und seine Art durchaus liebenswürdig ist.
Die übrigen Figuren lassen allerdings oftmals zu wünschen übrig. Viele bleiben schemenhaft und vor allem: dem Leser nicht im Gedächtnis. Beispielsweise Evies beste Freundin Macie, die erst auf Seite 100 ihren ersten Auftritt hat und bis dahin mit keinem Wort erwähnt wurde. Diese ist nett, viel mehr aber auch nicht, und hinterlässt so keinen großen Eindruck. Der Feind schlechthin allerdings, die Mutter selbst, wird nicht durchweg böse dargestellt. Stattdessen sorgen ihre eindeutige Verrücktheit, ihre erschreckenden Moralvorstellungen und vor allem ihr hartes Durchgreifen für einige Spannung. Man kann sich zwischenzeitlich nicht entscheiden, ob man sie auf eine seltsame Weise für ihre Skrupellosigkeit respektieren oder doch lieber verabscheuen soll.
Die Geschichte selbst hat die Autorin außerordentlich gut aufgebaut. Auf den ersten etwa 50 Seiten wird einiges des Öfteren wiederholt, was schnell deutlich werden lässt, wie sehr Evie unter der Kontrolle ihrer Mutter steht. Auch das langsame Annähern an Gavin ist sehr schön zu beobachten und sorgt durchaus für ein paar Lichtblicke durch die Art und Weise, wie die beiden miteinander umgehen. Die Liebesgeschichte geht natürlich relativ schnell - allerdings weniger zügig als oftmals in sonstigen Jugendbüchern - und ist nicht übermäßig kribbelnd. Dennoch sind die beiden ein niedliches Paar, weswegen dieses Detail kaum stört. Viel wichtiger ist auch die Flucht der beiden, nach der sie möglichst in die Freiheit gelangen wollen: Denn ab da geht es erst richtig los.
Souders hetzt ihre Protagonisten von einem Ort zum nächsten und von einer Gefahr zur anderen. Die Hindernisse überwinden die beiden nur mühsam, was auch nicht immer ohne Verletzungen oder gar Verluste vonstatten geht. Das macht das Ganze durchweg realistisch. Beide Charaktere machen große Entwicklungen durch, besonders aber Evie hat einiges wegzustecken: Nicht nur, dass sie immer mehr Geheimnisse ihrer Mutter und auch der Stadt selbst aufdeckt, sie findet ebenso heraus, wofür sie bestimmt ist. Viele dieser Enthüllungen sind durchaus überraschend oder zumindest so fesselnd, dass der Spannungsbogen bis zum großen Showdown nicht abebbt, der in ein sehr zufriedenstellendes Ende ohne Cliffhanger mündet. Doch auch ohne diesen ist auf jeden Fall klar: Band 2 lasse ich mir nicht entgehen!
FAZIT
"Renegade" ist eine wunderbar ausgearbeitete Jugendbuch-Dystopie, die besonders im Aspekt der Storyline und Spannung zu punkten weiß. Die Charaktere können nicht immer vollständig überzeugen, daher keine volle Punktzahl, dennoch ist das Werk ganz sicher ein echtes Lese-Vergnügen. Sehr gute 4 Punkte - unbedingt lesen!
Titel: Renegade - Tiefenrausch
Originaltitel: Renegade
Autor: J. A. Souders
Übersetzer: Charlotte Lungstraß
Verlag: ivi
Seitenzahl: 368 Seiten
ISBN-13: 978-3492702812
Grüß Dich Sonne.
AntwortenLöschenEin love interest mit idealen strukturierten Bauchmuskeln also... ;-)
Du erwähnst einen anmerkenswerten Punkt bezüglich der Mutter. Wie könnte Skrupellosigkeit zum Respekt führen? Muß dann ein komplex aufgebauter Charakter sein.
Wieder ein gutes Buch erwischt - da ist wohl wer ein Glückspilz!
bonté
Liebe Sonne,
AntwortenLöschensuper Rezi!! Und mich freu es total, dass dir das Buch gefallen hat AUCH wenn die Charaktere nicht die allerbesten waren. Bei Evie ging es mir gleich, Gavin war okay, aber in gewisser Weise austauschbar (hast du auch die Augen verdreht als er Evie mal "Süße" genannt hat? hihi). Macie und Konsorten fand ich auch viel zu flach. Mutter war super. Aber wie gesagt, tolles Story! Da war das mit den Protas egal. Es gibt übrigens von ivi die Vorgeschichte (wie Gavin nach Elysium kam). Ist nur ein Kapitel als PDF. Kann ich wirklich empfehlen!!
LG,
Damaris
Klasse Rezi! Ach, bisher streube ich mich noch etwas, dieses Buch zu lesen - eben schon wieder eine Dystopie. Aber, wenn ich das hier so lese + die Rezi von Damaris dazuzähle, dann sollte ich meine Bedenken wohl nochmals überschlafen. Das klingt zum Großteil (die teils dürtigen Charas mal ausgeschlossen) einfach spannend & lesenswert. Soll ich oder soll ich nicht? :D
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Reni
@RoM:
AntwortenLöschenDie Mutter fand ich hier in der Tat schon sehr gut dargestellt - eben so, dass sie nicht klischeehaft wirkt, auch wenn sie böse Absichten hegt. Und aufgrund ihrer Unbeirrbarkeit konnte ich irgendwie nicht anders ;)
Und du hast Recht: Diesen Monat bin ich in puncto Buchauswahl in der Tat ein echter Glückspilz. Das hatte ich auch schon länger nicht mehr...
@Damaris:
Gavin und Evie sind ganz niedlich, aber nicht besonders lange in Erinnerung bleibend, da stimme ich dir zu. Und ja, genau da hab ich mich auch gefragt, ob das sein musste - der Ausspruch passt so gar nicht zu ihm ;)
Dass es die Vorgeschichte gibt habe ich letztens schon gesehen. Sobald ich meinen Reader habe, lege ich mir die ganz sicher zu!
@Reni:
"Renegade" ist eine Dystopie nach dem altbewährten System der Unterdrückung und späteren Rebellion - aber dennoch definitiv total originell! Über die Charaktere kann man da gern mal hinwegsehen [haben ja sowohl Damaris als auch ich getan ;)] Ich bin für "sollst du"! Ich würde schätzen, dass es dir ebenso gefallen würde!