Back Down to Earth


[Buchrezension] Wer hat Angst vor Jasper Jones? - Craig Silvey

Merkwürdig, sich vorzustellen, das Laura Wishart heute Nachmittag ahnungslos und sorgenfrei durch Corrigan hätte spazieren könnten, mit ihren Freundinnen, ihrer Schwester. Stattdessen ist sie am Grund dieses dunklen Teichs veranktert, mit eben jenem Seil, mit dem sie gelyncht wurde. Laura Wishart wurde von der Erde verschluckt, um nie zurückzukehren.

INHALT
Eines Nachts klopft der berüchtigte Tunichtgut Jasper Jones an Charlie Bucktins Fenster, um ihm auf einer Lichtung im Wald etwas zu zeigen. Fasziniert von diesem Jungen und voller Erwartung folgt ihm der Junge - und bekommt so Laura Wishart zu Gesicht. Tot. Erhängt an einem Ast. Die beiden ahnen, dass es jemand anderes gewesen sein muss und versuchen, herauszufinden, wer. Doch das ist nicht das einzige Problem: Lügen, Verleumdungen und Rassismus machen Charlie, seiner Familie und seinen Freunden das Leben schwer. Und er muss lernen, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden und zu sich selbst zu finden...

BUCHAUFMACHUNG
Der Farn sowie das Gesicht des Jungen, auf das der Schatten der Pflanze fällt, passen insofern zur Handlung, da das Mädchen im australischen Busch gefunden wird und durch die düstere Darstellung der Person die geheimnisvolle Aura deutlich werden. Dennoch weckt die Gestaltung kein wirkliches Interesse - dafür ist sie zu allgemein und glatt schon langweilig. Da ergibt das amerikanische Cover schon mehr Sinn.

MEINE MEINUNG
"Wer hat Angst vor Jasper Jones?" ist schon aufgrund seiner vielschichtigen Thematik und seines originellen Schauplatzes ein etwas anderes Jugendbuch, weshalb ich mich auf die Lektüre sehr freute. Letztendlich muss ich aber sagen, dass mir zu viel angerissen und zu wenig ausführlich behandelt wurde, sodass ich so gut wie gar nicht mitgerissen wurde...

Erzählt wird die Geschichte passenderweise aus der Ich-Perspektive von Charlie selbst, sodass schneller Nähe aufgebaut werden kann als es bei einer personalen Sicht möglich wäre. Seine Gedanken sind nicht immer klar und präzise, was aber für einen 13jährigen Jungen normal ist und ihm so Menschlichkeit verleiht. Der Stil allerdings ist nicht einfach. Zwar in gut verständlichen Sätzen gehalten, aber oftmals von einer Präsenz und vor allem Tiefsinnigkeit, dass besonders jüngeren Lesern hier einiges entgehen dürfte. Die Altersangabe ist meiner Meinung definitiv zu niedrig angesetzt. Die Schreibweise zieht in die Geschichte hinein und lässt durch Metaphern, Vergleiche und wunderschöne Beschreibungen alles sehr deutlich vor dem inneren Auge entstehen, stört manchmal aber auch den Lesefluss.

Charlie ist ein ganz normaler Jugendlicher mit einigen flotten Sprüchen, viel Unsicherheit und großen Träumen von eigenen Büchern und dem Entfliehen des Alltagstrotts. Anfangs ist er sehr schüchtern und vor allem verängstigt, wird aber im Laufe durch die Ereignisse reifer und weiß sich am Ende selbst zu helfen. Jasper Jones ist ebenso ein eigentlich völlig umgänglicher, gefühlvoller Mensch, der nur durch Gerüchte und Beschuldigungen den Ruf des Bösewichtes hat. In Wirklichkeit macht er sich große Sorgen und möchte nur eines: Endlich raus aus dieser Stadt. Er ist weder stark noch schwach und hat Ecken und Kanten, was ihn sehr glaubwürdig werden lässt.

Aber auch ansonsten hat Craig Silvey bei seinen Charakterisierungen ganze Arbeit geleistet: Keine einzige Figur wirkt jemals auch nur ansatzweise blass. Da ist Jeffrey Lu, Charlies ausländischer bester Freund, der viel Spott und Rassismus über sich ergehen, sich aber nie unterkriegen lässt und immer wunderbar und herzerfrischend fröhlich ist. Oder Eliza Wishart, Lauras Schwester, die freundlich und gutmütig ist, aber ein Geheimnis zu haben scheint. Und letztendlich auch der gefürchtete Jack Lionel, der eine Frau umgebracht haben soll und doch so ganz anders ist als gedacht. Selten habe ich überraschendere Figuren kennen lernen dürfen, was mich an diesem Buch wirklich begeistert hat.

Ansonsten aber scheint der Autor sehr viele Themen auf einmal in ein einziges Buch einfließen lassen zu wollen und schneidet dabei einiges nur sachte an. Rassismus, Freundschaft und Mut spielen große Rollen und bei allen drei Aspekten gibt es entscheidende Schlüsselstellen. Jasper Jones, der Namensgeber des Buches, kommt aber beispielsweise viel zu wenig vor. Nach dem anfänglichen Ausflug zum Ort Todes von Laura Wishart dauert es über 100 Seiten, bis wir den Jungen wiedertreffen und auch danach taucht er immer wieder nur sporadisch zu tiefgründigen Gesprächen auf, was das Ganze fast schon unnötig erscheinen lässt. Stattdessen wird ein Cricketspiel gespielt - das allerdings trotz der vielen Fachwörter durchaus spannend ist -, die Liebe gefunden und ein feiger Anschlag auf den Nachbarn verhindert. Die Suche nach dem Mörder von Laura geht beinahe gar nicht voran und wird kaum jemals erwähnt, was schade ist.

Stattdessen ergeht sich Charlie in endlosen Wiederholungen dessen, was er gesehen und getan hat und langweilt so allmählich. Die vielen Beschreibungen sind schön, aber ermüdend und wenn nichts passiert außer dass Weltanschauungen preisgegeben und Familienstreits ausgefochten werden, dann passiert es leicht, dass auch mal Seiten überblättert werden. Der Tod des Mädchens kommt viel zu kurz und wird bis zum Schluss nicht ausführlich durchleuchtet, schließlich kommt die Auflösung von einer Person, von der man lange schon wusste, dass sie eine Ahnung hat. Zwar endet das Buch mit einem mutigen Akt von Charlie, um sich und seine Freunde zu beweisen, dennoch war einiges davor sehr enttäuschend, weshalb mir das Buch wohl nicht in Erinnerung bleiben wird.

FAZIT
"Wer hat Angst vor Jasper Jones?" greift viele wichtige Themen auf und besticht durch perfekte Charaktere, die das Buch lebendig machen und den Leser wenigstens ein wenig zu fesseln wissen. Allerdings sind es zu viele Aspekte auf zu wenigen Seiten, vieles wird stark vernachlässigt und trotz der Wandlung einiger Figuren weiß ich nun nicht genau, was ich von all dem halten soll. Es war vielleicht einfach nicht das Richtige für mich. Knappe 3 Punkte.



Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones?
Originaltitel: Jasper Jones
Autor: Craig Silvey
Übersetzer: Bettina Münch
Verlag: Rowohlt
Seitenzahl: 416 Seiten
ISBN-13: 978-3499216138


  5 Kommentare:

  1. Grüß Dich, Sonne!
    Ein Autor, der vielschichtige Figuren zeichnen und zum Leben erwecken kann. Ein Autor aber auch, der seine geschilderte Handlung mäandern läßt. Schwer zu erkennen wo fester Grund angeboten und wo der Sumpf bis zu den Achselhöhlen geht.
    Ob der Lektor etwas anmerken hätte sollen?!

    Das Originalcover ist in der Tat stimmungsvoller.
    Erinnert mich an ein Kinoplakat von 'The Lovely Bones'.

    bonté

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  2. @RoM:
    Bei den wunderbaren Charakteren und der interessanten Storyline ist das schon schade, dass der Autor einfach nicht fesseln konnte. Ich wusste am Ende auch einfach nicht, was ich dazu jetzt sagen sollte...
    Und du hast Recht - von den Farben her erinnert das Cover sehr an das Plakat. Den rote Schimmer bzw Schleier auf der rechten Seite assoziiere ich aber auch ein wenig mit "Warm Bodies" wobei die Geschichten natürlich völlig unterschiedlich sind :D

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  3. Also bisher habe ich von diesem Buch nicht viel gehört/gelesen - obwohl mir Cover & Ttel sehr bekannt vorkommen. Ich weiß nicht, aber irgendwie hat mich dieses Buch nie wirklich angezogen und wenn ich deine Rezi lese, so ist es wohl auch kein Muss. Was die Charakterzeichnung und den metaphernreichen Schreibstil betrifft, macht mich das Buch dann doch neugierig. Ich kann aber auch gut verstehen, was dich letztendlich gestört hat - sehr nachvollziehbar und gut von dir beschrieben! Mir würde es sicherlich ähnlich gehen. Somit denke ich, ich verpasse nicht viel, wenn ich Jasper Jones mal an mir vorbeiziehen lassen. :)

    Liebe Grüße
    Reni

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  4. Mir geht es da wie Reni. Meine Neugier ist geweckt, aber abgeschreckt bin ich auch. Vermutlich werde ich es irgendwann mal lesen, weil mich auch die Thematik anspricht.

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  5. @Reni:
    Von diesem Buch gehört haben wahrscheinlich nur diejenigen, die bei Vorablesen sind oder sorgfältig das Programm von Rowohlt durchstöbern ;) Die Charaktere, die Geschichte und der Schreibstil sind wirklich perfekt, dafür würde sich die Lektüre schon lohnen - nur ist das Werk eben leider sehr langatmig. Ich würde schätzen, dass es dir da ebenso erginge wie mir. Daher bestimmt kein Muss ;)

    @Sandrina:
    Solltest du dir das Buch tatsächlich einmal zur Lektüre vornehmen, bin ich sehr gespannt! Die Meinungen dazu sind ja sehr durchwachsen...

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Die Bloggerin

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