[Buchrezension] BETA - Rachel Cohn
"Wahrscheinlich hat Demenzia die Bombe gelegt", sagt Tahir. Und was ist, wenn Tahir tatsächlich diese Möglichkeit in Betracht zieht - so absurd dies auch erscheinen mag -, nur weil er möchte, dass nicht alle Betas automatisch zu Kriminellen abgestempelt werden? Darf ich es wagen, so etwas zu hoffen? Weil eine Beta namens Elysia für ihn das schönste Mädchen ist, das es gibt? Weil er sich mit ihr so lebendig fühlt wie mit keiner anderen?
Die Clique lacht. Ein Witz, wie er ganz zu ihrem Tahir von früher passt. Die Bombe hat ihre Welt noch lange nicht zum Einsturz gebracht.
Demesne ist eine Insel des puren Luxus - zuckerwattrige Luft und das Rauschen der violetten Meereswellen versetzen die Menschen in eine Gefühlslage der totalen Entspannung, und dass diese im Grunde nicht arbeiten müssen, komplettiert das perfekte Leben. Denn extra für Demesne werden tote Menschen geklont, um diese dann als Sklaven einsetzen können. Die junge Elysia ist eine davon. Doch sie hat Gefühle und Erinnerungen, etwas, das nicht sein darf. Sie muss sich entscheiden: Führt sie ein sicheres Leben als Klon und Dienerin oder wagt sie den schwierigen Weg in die Freiheit, ins Ungewisse?
MEINE MEINUNG
Rachel Cohn war bisher immer als Teil eines Autorengespanns tätig - und da ich davon eher weniger Fan bin, freue ich mich, dass mit "BETA" ihr erstes eigenes Buch erschienen ist. Dabei ist die Geschichte zwar nicht ganz neu, besitzt aber doch einige originelle Aspekte, die die Story von Anfang an interessant werden lassen. Erzählt wird das Ganze im Präsens aus der Ich-Perspektive des jungen Klons Elysia. Auf diese kann man sich ob des flüssigen Schreibstils mit den bildhaften Beschreibungen und der knackig-kurz gehaltenen Kapitel wunderbar einlassen, weswegen sich das Buch einfach so weg lesen lässt.
Elysia ist eine sehr sympathische Protagonistin, mit der man sich aufgrund ihrer Natürlichkeit gut identifizieren kann. Zu keinem Moment kommt sie zu gefühlskalt rüber, dennoch ist anfangs bemerkbar, dass sie eher wenige Emotionen verspürt. Dies ändert sich im Laufe der Handlung auf authentische Weise, wenn sie zum Ende hin auch ein wenig dramatisch wird. Ihr Love Interest ist hier hauptsächlich der junge Tahir, der als Schürzenjäger und Draufgänger bekannt ist, sich nach einem Unfall aber stark verändert hat. Dies wird später gut geklärt, wenn ich mir auch schnell sicher war, was passiert ist. Er ist einigermaßen liebenswürdig im Umgang mit Elysia, war mir aber oftmals definitiv zu kühl und vom Aussehen her zu perfekt.
Ein weiterer möglicher Gefährte ist Alexander, den man allerdings erst auf den letzten hundert Seiten wirklich kennenlernt - denn er ist der Mann, der in ihren Erinnerungen auftaucht. Aufgrund seiner geringen Präsenz bleibt er jedoch überwiegend blass, genauso wie die Mitglieder der Clique, mit denen Elysia des Öfteren ihre Zeit verbringt. Dagegen ist ihre Familie gut durchdacht, wenn auch etwas klischeehaft: Der beleibte Governor, der nicht nur Vater sein will, die menschenverachtende, egozentrische Mutter, die süße kleine Tochter und der eifersüchtige, muskelbepackte Sohn. Die Figuren sind durchaus gut ausgestaltet, die Wandlung von der guten Familie zu den bösen Feindbildern ging mir jedoch persönlich zu schnell.
Der Plot ist interessant und besitzt ein recht wichtiges Thema: Nämlich die Sklaverei, die hier wieder wie im 18. Jahrhundert gehandhabt wird. Klone sind Diener und werden wie Ware behandelt, was äußerst schockierend ist. Die Grundidee des Romanes ist dabei natürlich nicht neu: Ein Mädchen findet die wahren Umstände der vermeintlich perfekten neuen Welt heraus und beginnt eine Rebellion. Dennoch gelingt es Rachel Cohn, das Thema gut umzusetzen. Es dauert eine Zeit, bis sich Elysia ihrer Andersartigkeit bewusst und aktiv wird beziehungsweise zumindest in Gedanken gegen die Ungerechtigkeit angeht. Dabei hat der Roman zumeist eine eher ruhige, wenn auch manchmal bedrohliche Atmosphäre, die schnell gefangen nimmt. Allerdings, das muss man sagen, nimmt das Thema Drogen hier einen großen Platz ein und wird meiner Meinung nach zu wenig von den kritischen Seiten angesprochen, sondern im Gegenteil eher verherrlicht. Ich kann nur hoffen, dass das nicht ausartet!
Zum Glück ist die Liebesgeschichte hier eher unterschwellig und nimmt nicht viel Platz ein. Ein paar kitschige Phrasen gibt es dennoch; da dieser Aspekt aber nicht der Grundbaustein der Handlung ist, konnte ich darüber durchaus hinwegsehen. Allerdings übertreibt es die Autorin zum Ende hin etwas. Während es bis circa Seite 300 sehr ruhig und angenehm ist, überschlagen sich kurz darauf die Ereignisse, wobei manches nicht ganz ausgeklügelt und glaubwürdig wirkt. Es ist zwar durchweg spannend, aber dennoch hätte hier einen Gang zurückgeschaltet werden können, vor allem, da zwei bahnbrechende Enthüllungen gar nicht so bahnbrechend sind. Jedenfalls nicht, wenn man einigermaßen gut im Kombinieren ist. Der Schluss jedoch besitzt einen fiesen Cliffhanger, der einem gar keine andere Möglichkeit lässt, als weiterzulesen - was gleichzeitig irgendwie schön und sehr nervig ist...
FAZIT
Rachel Cohn spricht mit ihrer Dystopie "BETA" das durchaus wichtige Thema der Sklaverei an - nur halt in einer neuen Welt. Der Schreibstil und der zumindest anfängliche ruhige Aufbau gefielen mir dabei sehr gut. Nur zum Ende hin wird das Ganze zu hektisch, um immer glaubwürdig zu sein. Ich vergebe gute 3,5 Punkte für eine definitiv lesenswerte Dystopie und hoffe auf eine Steigerung in Band 2!
Titel: BETA
Originaltitel: Beta
Reihe: Annex
Reihe: Annex
Autor: Rachel Cohn
Übersetzer: Bernadette Ott
Verlag: cbt
Seitenzahl: 416 Seiten
ISBN-13: 978-3570161647
Salut, Sonne.
AntwortenLöschenDer Mensch ist nicht reif für ein ideales Paradies, denke ich. Entweder sucht er den steten Kick in weiterer Ausschweifung, oder er wird langsam wahnsinnig.
Vermutlich ein Grund, warum in vielen SF-Texten utopische Paradiese zuletzt untergehen.
Wobei Paradies auch Definitionssache ist - es kann sich ja auch im Augenpaar gegenüber finden.
bonté
@RoM:
AntwortenLöschenIch hoffe, dass wir Menschen niemals "reif" sein werden für das Paradies, wie du es sagst - das wäre ja unerträglich langweilig ohne Höhen & Tiefen! Genauso ergeht es den Menschen ja auch hier: Sie haben alles, aber sie wollen mehr, woraus die Probleme resultieren.
Danke dir für deine Meinung ;)
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
AntwortenLöschenWieder mal eine schön formulierte wie aufschlussreiche Rezi! BETA steht dank der Damaris schon in meinem Regal und ich bin sehr gespannt drauf. Ich muss ja immer sofort an den Film "Die Insel" denken, wenn ich die Kurzbeschreibung und den Trailer sehe. Den Film fand ich damals höchst sehenswert, vor allem was dort mit den Klonen geschah und welch geringen Stellenwert sie einnahmen.
AntwortenLöschenUmso mehr hoffe ich natürlich, dass mich BETA vielleicht ähnlich gelungen überraschen/packen kann. Bisher habe ich schon so viel unterschiedliches über das Buch aufgeschnappt, das macht schon neugierig. Ich hoffe natürlich, dass es mich eher zur Gefällt-mir-Seite zieht. :)
Liebe Grüße
Reni
@Reni:
AntwortenLöschenIch danke dir wie immer für das nette Kompliment! Gut, dass du "BETA" bereits besitzt, denn lesenswert ist es allemal. Und der Vergleich mit "Die Insel" ist durchaus logisch, zwischenzeitlich musste ich auch ein wenig dran denken, da kommt man ja nicht umhin ;) Ich hoffe ebenfalls sehr, dass dir das Buch gefällt - es halt halt seine Schwächen, definitiv aber auch seine Stärken. Viel Spaß damit!