[Buchrezension] Wintermärchen - Mark Helprin
Der Eissegler wendete, Peter Lake ließ die Peitsche knallen, und schon rasten sie dem Haus am anderen Seeufer entgegen, unter einem Himmel, der so blau war wie das Blau auf Delfter Kacheln.
"Vorwärts, Peter Lake, lass laufen!", sagte Beverly und zog das Kind fester an sich. Nie hatte er eine Familie gehabt. Doch jetzt fühlte er sch fast wie ein Ehemann und Vater.
Es gibt kleine Erlebnisse, die einen Mann für alle Zeiten verändern. Nie sollte Peter Lake diese Fahrt über den See vergessen, und für alle Zeiten sollte er sich an Beverlys Worte erinnern.
Eines Tages bricht der Dieb Peter Lake auf der Suche nach reicher Beute, mit der er sich zur Ruhe setzen kann, in das Haus der Familie Penn ein. Bemerkt hat er vorher jedoch nicht, das eines der Familienmitglieder noch zu Hause ist: Die schöne Beverly. Die beiden begegnen sich und verfallen einander sofort. Doch Beverly ist todkrank und Peter weiß, dass ihre gemeinsame Zeit kostbar ist. Wenigstens kann er in ihrer Gegenwart all seine Sorgen vergessen - zum Beispiel den Umstand, das er vom gefürchtetsten Verbrecher der Stadt bis aufs Blut gehasst wird. In Beverlys Anwesenheit traut sich dieser nicht an Peter heran, doch für wie lange wird der brüchige Frieden halten?
MEINE MEINUNG
Mark Helprins "Wintermärchen" kam dieses Jahr mit Colin Farrell und Jessica Brown-Findlay in den Hauptrollen ins Kino und erlangte auf diese Weise meine Aufmerksamkeit. Es ist, wie der Titel schon sagt, eine sehr märchenhafte Erzählung mit einigen phantastischen Details und einer ungeheuren Detailverliebtheit. Grade diese muss man mögen, ansonsten wird man mit diesem Roman Schwierigkeiten haben. Der Schreibstil ist wunderschön und voller bezaubernder Beschreibungen, die völlig in die Geschichte eintauchen lassen - wer allerdings mit absatzlangen Ausführungen zu bestimmten Themen, auch Themen, die direkt nichts mit der Geschichte zu tun haben, nichts anfangen kann, wird sich hier schnell langweilen. So wie es auch mir das ein oder andere Mal erging.
Protagonist Peter Lake ist ein Dieb - aber innerlich ein guter Mensch. Eigentlich liegt ihm der Beruf des Mechanikers viel mehr, doch um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, muss er stehlen. Als er die reiche Beverly kennen lernt, berauscht ihn ihr vieles Geld zuerst - und dann ist es ihm egal, weil ihre Nähe ihm wichtiger ist. Seine Zärtlichkeit und Suche nach Zuneigung machen ihn zu einem traurigen, aber schönen Charakter. Beverly überzeugt vor allem durch ihre pure Lust am Leben trotz ihrer schweren Krankheit. Sie ist freigiebig, exzentrisch und auf ihre eigene Weise ganz und gar von geradezu leuchtender Natur. Im Laufe der Handlung lernt man noch viele weitere Charaktere kennen, die alle ihre eigenen großartigen Geschichten vorzuweisen haben und den Leser auf die ein oder andere Weise berühren: Ob es nun Bösewicht Pearly Soames ist, der in seiner fanatischen Suche nach den schönsten Farben über Leichen geht; Beverlys Nichte Virginia in ihrem Versuch, ein selbstbestimmtes Leben zu leben; oder der weiße Hengst Athansor, der so menschlich wirkt, dass es beinahe unmöglich scheint, dass er ein Pferd ist.
Mark Helprins Geschichte ist in jederlei Hinsicht vollkommen durchdacht und ausgeführt bis in alle Einzelheiten. Zwar spielt der Roman beinahe die ganze Zeit im Zentrum von New York, dennoch lernt man am laufenden Band neue Orte kennen und fühlt sich durch das Talent des Schriftstellers überall wie zuhause. Das Ganze ist tatsächlich ein einziges langes Märchen mit fantasievollen Begebenheit, ein wenig Romantik und Figuren voller Charakterstärke. Gleichzeitig ist der unendlich detaillierter Stil jedoch auch sehr, sehr ermüdend. Der Autor verstrickt sich oftmals in Erzählungen völlig außerhalb des Themas, und auch, wenn viele seiner Beschreibungen durchaus Sinn machen - um beispielsweise die Motive einer Figure zu erklären -, war dieses Langatmige doch gar nicht meins. Ich ertappte mich des Öfteren dabei, Absätze einfach zu überspringen und am Ende in der Storyline wieder genau da anzusetzen, wo ich mich ausgeklingt hatte.
Dennoch kommt man selbst dann nicht umhin, fasziniert zu sein von der Originalität, die in das Werk eingeflossen ist, wenn man mit dem Stil Schwierigkeiten hat. Denn eine Geschichte mit solch einer Komplexität und Menge an Handlungssträngen, die am Ende zusammen doch alle einen Sinn ergeben, liest man nicht oft. Bis zum Schluss bleibt das Buch auf diese Weise auf seine eigene Art doch mitreißend, auch wenn man von schnellem Lesen hier auf keinen Fall sprechen kann. Übrigens: Wer den Film gesehen hat oder plant, ihn zu schauen, sollte sich auch am Buch versuchen. Dieses ist weitaus planvoller und die gesamte Story erfüllt vor allem einen weitaus größeren Sinn und Zweck, als dem Zuschauer eine einfache Liebesgeschichte zu zeigen. Allein deshalb lohnt es sich, dem Ganzen eine Chance zu geben - definitiv.
FAZIT
Mit "Wintermärchen" ist Mark Helprin eine fantasievolle und beeindruckend komplexe Geschichte gelungen, die besonders in den phantastischen Momenten überzeugt. Der Schreibstil ist allerdings sehr ausufernd und detailreich, was nicht jedermanns Sache ist - ich zum Beispiel konnte damit weniger anfangen. Aufgrund der Originalität und der wunderbaren Figuren gebe ich aber trotzdem noch 3,5 Punkte und empfehle das Ausprobieren.
Titel: Wintermärchen
Originaltitel: Winter's Tale
Autor: Mark Helprin
Übersetzer: Hartmut Zahn
Verlag: Goldmann
Verlag: Goldmann
Seitenzahl: 864 Seiten
ISBN-13: 978-3442481118
Hallo Sonne.
AntwortenLöschenRein aus der Ferne des Südens eingeschätzt, hätte beim Smalltalk am Gartenzaun wie bei über 800 Seiten, das Lektorat einschreiten können. Oft bleibt Weniger mehr.
bonté
@RoM:
AntwortenLöschenJa, das fand ich auch. Meiner Meinung nach braucht ein Roman von 800 Seiten keine Beschreibungen, die die Hälfte der Seiten ausmachen - so schön sie auch sind. Irgendwann reicht es. Aber man kann ja nun nicht alles haben ;)