Back Down to Earth


[Buchrezension] Stranwyne Castle: Das trügerische Flüstern des Windes - Sharon Cameron

"Nein!", schrie mein Onkel. Er zitterte und sein rotes Gesicht sah beinahe dämonisch aus. "Nein, nein, nein!"
Lane sprang vor und streckte die Hand aus. "Hinlegen!", schrie er über die Schulter.
Ich ließ die Zeichnung des Pfaus fallen, als wäre sie glühend heiß, doch Onkel Tulman war bereits mit ausgestreckten Armen auf mich losgestürzt. Dabei stieß er eine Werkzeugkiste an, deren Inhalt sich auf dem Boden verteilte und mit den Glasscherben vermischte. Lane konnte den alten Mann gerade noch festhalten, bevor er mich erreichte.
"Gehen Sie!", brüllte er. "Um Gottes Willen, gehen Sie!"

INHALT
Die junge Katharine lebt bei ihrer zänkischen und verhassten Tante Alice, weil ihre Eltern tot sind und niemand anderes ihren Lebensunterhalt sichern kann. Als diese sie beauftragt, ihren Onkel aufzusuchen und für unzurechnungsfähig erklären zu lassen, macht sie sich daher ohne Umschweife auf den Weg. Im Wohnsitz ihres Verwandten angekommen, hat sie zuerst absolut vor, den Plan in die Tat umzusetzen - bis sie mit den Erfindungen ihres sehr exzentrischen Onkels in Berührung kommt und augenblicklich fasziniert ist. Schon bald weiß sie nicht mehr, was sie tun soll. Und als wäre das nicht genug, scheint ihr auch noch jemand nach dem Leben zu trachten...

MEINE MEINUNG
"Das trügerische Flüstern des Windes" ist, was man dem Cover nicht wirklich ansieht, Steampunk - wovon ich erst einmal ein wenig überrascht wurde. Aufgrund der kryptischen Inhaltsangabe erwartete ich eher phantastische Aspekte, stattdessen bekommt man ein leicht technisiert angehauchtes vergangenes Zeitalter geboten, versetzt ist die Geschichte außerdem noch mit einigen Krimi-Elementen. Und das ist gerade das Spannende, denn man weiß nie, was einen als Nächstes erwartet. Erzählt wird das alles aus der Ich-Perspektive der Protagonistin; der Stil ist dabei flüssig zu lesen und trotz des historischen Hintergrunds sehr gut zu verstehen.

Katharine ist anfangs kein unbedingt sympathischer Charakter, weil ihre Art doch recht arrogant und unfreundlich ist - da sie jedoch nie eine andere Gesellschaft hatte als ihre schreckliche Tante, ist ihr dies zu verzeihen. Außerdem entwickelt sie sich im Laufe der Handlung zu einer starken und sanften jungen Frau, ohne ihre Fehler jedoch ganz auszubügeln, was sie sehr menschlich macht. Ihr Onkel ist jedoch mindestens ebenso spannend. Er hat eine sehr besondere Art, braucht bestimmte Rituale und immer die gleichen Menschen um sich, um sich wohl zu fühlen. Beim Bauen seiner Gerätschaften ist er aber absolut genial und fasziniert einen als Leser so ungemein. Lane, sein "Dienstbote", der Katharine anfangs wenig leiden kann, zeigt ebenso wie sie nach und nach andere Seiten und wird einem so sympathisch. Einige Nebenfiguren bleiben ein wenig blass, andere wiederum, wie die Haushälterin Mrs Jeffries oder der kleine stumme Davy, lassen das Ganze äußerst lebendig werden und wissen einen völlig für sich einzunehmen.

Sharon Cameron gelingt es auf bemerkenswerte Weise, einen sehr schnell in die Welt von Stranwyne Castle hineinzuziehen. Die Handlung spielt sich fast ausschließlich dort ab, was jedoch nicht schlimm ist, denn zum Schloss gehören zwei Dörfer, und so gibt es eindeutig genug zu erkunden und zu erfahren. Da Katharine auch nach ihrer Ankunft den Plan verfolgt, ihren Onkel für verrückt erklären zu lassen, ist sie selbstverständlich nicht die beliebteste Person im Umkreis, was für einige Spannungen sorgt. Diese halten den Roman auch dann noch fesselnd, wenn sich die Protagonistin einmal wieder in ihren Gedankengängen verstrickt, ob sie ihrer Faszination für die Erfindungen nun nachgeben oder lieber an ihre Zukunft denken sollte. Eigentlich gäbe es für ihr Dilemma einige äußerst einfache Auswege, daher ist das ein bisschen anstrengend - aber auch nicht so störend, dass man ungern weiterlesen würde.

Denn immer wieder gibt es auch leicht unheimlich angehauchte Szenen, in denen Katharine das Heulen des Windes auf besondere Weise wahrnimmt oder ihre Schuhe plötzlich dreckverkrustet an einem anderen Ort wiederfindet - das alles lässt einen immer wieder rätseln. Zugegeben, die Erkenntnis, wer hinter all dem steckt, lässt nicht lange auf sich warten, dennoch ist es interessant, die Motive zu ergründen. Schön ist übrigens auch, dass hier nur wenig Wert auf die Liebesgeschichte gelegt wird, diese insgesamt durchaus berührt, aber nie auch nur ansatzweise in den Vordergrund gestellt wird. Wirklich besonders macht das Buch jedoch sein Schluss, der eindeutig zeigt, dass nicht immer alles gut ausgeht und manchmal auch außergewöhnliche und lieb gewonnene Menschen leiden müssen. Hier wird das Ganze konsequent durchgezogen, was mir persönlich sehr gefiel.

FAZIT
"Stranwyne Castle: Das trügerische Flüstern des Windes", ist ein spannender und neuartiger Steampunk-Roman, der als Einzelband gelesen werden kann und als solcher auch überzeugt. Im Original ist ein 2. Teil allerdings trotzdem grade erschienen und ich bin gespannt, ob dies auch auf Deutsch geschehen wird. So oder so: Eine empfehlenswerte Lektüre! 4 Punkte.



Titel: Das trügerische Flüstern des Windes
Originaltitel: The Dark Unwinding
Autor: Sharon Cameron
Übersetzer: Bettina Arlt
Verlag: Egmont INK
Seitenzahl: 352 Seiten
ISBN-13: 978-3863960094



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Die Bloggerin

Kittyzer, 22 Jahre alt, früher als Sonne bekannt. Gebürtige Niedersachsin, die für die Arbeit nach Rheinland-Pfalz gezogen ist. Schreibt über Bücher, Filme, Serien und Mainz. Um mehr zu erfahren, → klicke hier

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