[Buchrezension] Nacht ohne Namen - Jenny-Mai Nuyen
Drei Minuten später saßen sie wieder vor der Eisdiele. Tallis hatte seinen Mantel auf der Toilette gewaschen, er lag neben ihm in der Sonne zum Trocknen. Völlig traumatisiert starrte er in die Ferne. Nicki konnte kaum den Blick von ihm wenden. Er gefiel ihr einfach, wenn er litt.
"Wie ist es eigentlich möglich, dass jemand, der fliegen kann, vom Fahrrad fällt?", fragte sie.
"Ich nehme an, das ist eine rhetorische Frage, deshalb werde ich sie einfach mal einstecken und wann anders rausholen, wenn mir nach Selbstironie ist oder das Klopapier fehlt."
Jede Woche trifft Nicki morgens in der S-Bahn den jungen Zeichner Canon und verbringt mit ihm Stunden voller Kreativität. Doch eines Abends erhält sie von ihm einen Anruf, bei dem er ihr sagt, dass sie sich nicht mehr sehen können - und dann verschwindet er. Getrieben von Sehnsucht und Sorge macht sie sich auf die Suche nach ihm und entdeckt Erschreckendes: Offensichtlich hat Canon vor langer Zeit einen Vertrag mit einem Dämonen geschlossen, der ihn nun in große Gefahr bringt. Um ihren Freund zu retten, geht Nicki eher unfreiwillig ihrerseits einen Pakt mit Jucitell Tallis ein. Doch kann sie ihm vertrauen?
MEINE MEINUNG
Jenny-Mai Nuyen ist bekannt für ihre außergewöhnlichen Romane voller schmerzgeplagter Charaktere, melancholischer Atmosphäre und düsteren Vorahnungen. Ihre High Fantasy-Werke "Nijura" und "Nocturna" liebe ich nach Jahren noch immer, klar also, dass auch die Urban Fantasy "Nacht ohne Namen" ein Muss war. Die Schreibweise ist wie gewohnt stilvoll und detailreich, durchsetzt mit atemberaubenden Beschreibungen, die nur ganz selten ins Pathos abdriften. Gegliedert ist die Geschichte, wie von der Autorin gewohnt, in verschiedene Teile [hier sind es drei], wobei sich jeder auf verschiedene Pakte konzentriert - gekennzeichnet durch Zeichnungen, die jedoch erst im Verlauf der Handlung einen Sinn ergeben.
Nicki ist eine von der Distanz zwischen ihr und ihren Eltern gezeichnete Protagonistin, die sich auch von anderen Menschen fern hält und nur in Canon so etwas wie einen Vertrauten findet. Sie entwickelt sich im Laufe der Handlung zu einer umgänglicheren Person, weil sie lernen muss, anderen zu vertrauen, ihr Verhalten gegenüber beispielsweise alten Freunden ist jedoch manchmal schwer verständlich. Canon kommt einem durch eine relativ lange Abwesenheit leider nicht wirklich nahe. Seine gespaltene Sichtweise auf Geld und Konsum, entstanden durch seinen Pakt, macht ihn interessant, sein Charakter voller Güte und Sorge lässt ihn aber zu perfekt wirken. Die sympathischste Figur ist da ganz klar der Inkubus Tallis, der sich durch seine lockere, witzige, aber auch aufopferungsbereite Art schnell in jedes Herz schleicht - vor allem, als auch seine ernstere Seite bekannt wird. Die sonstigen Nebenfiguren haben oft wichtige Züge und bleiben noch öfter undurchschaubar, was das Ganze sehr geheimnisvoll, aber auch unnahbar werden lässt.
Jenny-Mai Nuyen hat ein Händchen für das Erschaffen von Atmosphäre und so gelingt es ihr auch hier schon auf den ersten Seiten, einen in das meist nächtliche Berlin eintauchen zu lassen. Dazu trägt sicherlich bei, dass Hauptfigur Nicki die meiste Zeit der Handlung mittendrin verbringt, in S-Bahnen, Türmen und Gassen - immer auf der Suche nach einem Weg, um Canon vor seinem Dämon zu retten. Schon bei ihrem ersten Streifzug gerät sie ungewollt an Jucitell Tallis, schließt einen Pakt mit ihm und wird von nun an in Not von ihm gerettet. Das passiert ganz schön oft, was mir, im Sinne von Emanzipation und selbst ist die Frau, nicht so richtig gut gefiel, dafür aber immer wieder für Auflockerungen sorgt, weil die Dialoge zwischen ihm und Nicki wunderbar aus dem Leben gegriffen sind. Dadurch gelingt es dem Leser aber auch gleichzeitig nur schwer, nachzuvollziehen, was sie eigentlich an Canon findet, besonders, weil dieser Beziehungsaufbau bereits in der Vergangenheit liegt.
Keine Frage, ansonsten werden hier geniale Ideen verarbeitet und altbekannten Geschichten wie denen um Dämonen, Götter und die Unterwelt neue Details hinzugefügt. So gibt es regelmäßig neue Überraschungen und Geheimnisse zu entdecken. Dennoch dreht sich die Handlung leider an vielen Stellen auch im Kreis und kommt nicht voran, mehrmals werden die gleichen Geschehnisse aufgearbeitet. So unterhaltsam ich beispielsweise das dämonische Pendant der typisch-deutschen Bürokratie eigentlich finde, so ermüdend ist es nach dem dritten Mal dann auch. Zudem konnte mich die große Enthüllung kurz vor Schluss nicht wirklich überraschen und ein richtiges Ende mit endgültig getroffenen Entscheidungen, sowie Konsequenzen für den Täter fehlten mir. Möglicherweise wird sich hier aber auch noch die Möglichkeit zu einem 2. Teil offen gelassen...
FAZIT
Jenny-Mai Nuyen hat einen sehr eigenen, etwas ausufernden und oft poetischen Stil, den man mögen muss - ebenso wie ihre manchmal skurrilen, teilweise düsteren und gebrochenen Figuren. Gerade das sind Aspekte, die mich begeistern konnten, dafür kam mir die Handlung selbst aber oftmals zu schleppend voran und die Liebe zu Love-Interest Canon konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen. Für Experimentierfreudige dennoch definitiv einen Blick wert. Knappe 3,5 Punkte.
Titel: Nacht ohne Namen
Originaltitel: -
Autor: Jenny-Mai Nuyen
Übersetzer: -
Verlag: dtv
Verlag: dtv
Seitenzahl: 448 Seiten
ISBN-13: 978-3423761093
Huhu!
AntwortenLöschenWirklich eine tolle Rezension ♥
Ich habe bis jetzt leider nur ein Buch von Jenny May-Nuyen gelesen und zwar 'Rabenmond'. Das Buch gefiel mir wirklich außergewöhnlich gut und deshalb liegt seit einiger Zeit auch ein anderes Buch von ihr auf dem SUB, 'Nocturna'. Darauf bin ich schon sehr gespannt, da mir der Schreibstil einfach nur super gut gefällt. (:
Alles Liebe,
Jasi ♥
Ich bin auch immer wieder ganz verliebt in den Stil der Autorin. "Nocturna" ist übrigens mein absoluter Liebling der Autorin, also wünsche ich dir mal ganz viel Spaß damit! "Rabenmond" habe ich auch gelesen, aber ich weiß nicht warum, es gefiel mir damals nicht. Ich habe aber grade große Lust, es noch mal damit zu probieren :D
LöschenIch liebe die Autorin einfach und kaufe blind jedes Buch, dass sie veröffentlicht. Auch dieses liegt bereits auf meinem SuB und ich hoffe, dass es mir genauso gut gefallen wird wie der Rest ihrer Bücher. Wirklich schöne und treffende Rezension!
AntwortenLöschenLiebste Grüße,
Nazurka
Ich danke dir sehr für das Kompliment! Ich hoffe auch sehr, dass dir das Buch gefällt und wünsche dir viel Spaß beim Lesen. Bei mir ist das mit ihren Werken immer unterschiedlich - einige liebe ich, "Feenlicht" fand ich aber zum Beispiel vor ein paar Jahren so unendlich langweilig, dass ich es abgebrochen habe. Aber die älteren High Fantasy-Romane muss ich mal wieder re-readen glaube ich ;)
LöschenAlso ich muss zugeben, ich hab schon ewig nix mehr von der Autorin gelesen. Vom Klappentext her hatte mich ihr neustes Buch auch nicht sooo angesprochen und ehrlich gesagt ist deine Rezi jetzt euch nicht wirklich überschwänglich. Na mal sehen, vielleicht ein anderes Thema, das mich mehr anspricht.
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
Tina
Ich vermute, ich bin hier auch etwas kritischer, weil ich von Jenny-May Nuyen einfach so meine Lieblinge habe, und das insbesondere im High Fantasy-Bereich. "Nocturna" und "Nijura" würde ich auch nach Jahren immer noch am liebsten jedem andrehen ;)
LöschenWelches Buch hattest du denn mal von ihr gelesen?
Also ich muss zugeben, ich hab schon ewig nix mehr von der Autorin gelesen. Vom Klappentext her hatte mich ihr neustes Buch auch nicht sooo angesprochen und ehrlich gesagt ist deine Rezi jetzt euch nicht wirklich überschwänglich. Na mal sehen, vielleicht ein anderes Thema, das mich mehr anspricht.
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
Tina
Hoi, Sonne.
AntwortenLöschenZunächst merci für einen erhellenden Hinweis, hatte ich Jenny-Mai Nuyen bis dato - und völlig unbewußt - als amerikanische Autorin eingeordnet. Aber der Handlungsort Berlin machte mich dann neugierig. :-)
Ich vermute jetzt einmal weichsinnig, daß Dir eine Story rein um Nicki & ihrem Incubus, dafür mit 150 Seiten weniger, bedeutend mehr gefallen hätte. Dezent weichsinnig, jetzt! ;-)
bonté
Och, bitte, bitte! :D Eigentlich heißt die Dame sogar Nguyen, hat ihren Nachnamen aufgrund der oft fehlerhaften Aussprache der Deutschen (N-Guyen nämlich) etwas geändert. Mal so als Fun Fact nebenbei ;)
LöschenUnd ja, du hast es mal wieder gut erkannt - ich glaube, eine Geschichte rund um Nicki und Tallis hätte ich geliebt. Aber man kann eben auch nicht alles haben. Daher hoffe ich einfach auf einen 2. Teil...