[Buchrezension] Chroniken der Seelenfänger: Schwarzer Dolch - Alexey Pehov
"Rühr dich jetzt nicht vom Fleck", befahl sie.
Ich spürte ein Kribbeln, dann ein leichtes Frösteln. Eine weiße Welle kroch über meine Knöchel, kletterte die Waden hoch bis zu den Knien. Gertrude, an deren Beinen ich diese Bewegung ebenfalls beobachtete, zeigte sich völlig gelassen. Da ich ihr vorbehaltlos vertraute, blieb ich stocksteif stehen. Als dieser weiße Glibber ihren Scheitel erreichte, vermochte ich sie kaum noch zu erkennen.
"Luzifer soll mich holen!", schrie Apostel. "Wo zum Teufel steckt ihr?!"
Ludwig van Normayenn ist ein Seelenfänger und damit einer der wenigen, die fähig und befugt sind, dunkle Seelen ins Jenseits zu schicken, die die Menschheit malträtieren. Doch nicht alle Bürger der Länder stehen seinem Geschick vorbehaltlos gegenüber, und so muss er sich stets genau seine Schritte überlegen, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Nur kommt sich das, was er tun sollte, und das, was er für richtig hält, oftmals in die Quere. Und so macht er sich auf seinen Reisen so einige äußerst gefährliche Feinde...
MEINE MEINUNG
Alexey Pehov ist im Fantasy-Bereich wohl Russlands, bekanntester Export - "Schwarzer Dolch" ist der Auftakt der bereits dritten Reihe, die ins Deutsche übersetzt wird. Schnell wird klar, worauf die Beliebtheit zurückzuführen ist: Den angenehmen Schreibstil, der trotz des Settings in einem alten Europa wenig altertümlich wirkt und damit äußerst angenehm zu lesen ist. Und auch der düstere Humor tut sein Übriges. Erzählt wird das Ganze aus der Ich-Perspektive des Protagonisten, der schnell zum Sympathieträger wird.
Denn Ludwig hat seine Prinzipien und ist in diesen sehr standfest, was seine Taten immer nachvollziehbar macht. Selbst, wenn er ahnt, dass es ihm Schwierigkeiten bereiten könnte: Ist ein Menschenleben in Gefahr, setzt er sich garantiert dafür ein. Auch seine Gefährten Apostel und Scheuch können überzeugen: Ersterer unterhält einen mit seiner aufbrausenden, zeternden Art ungemein gut, letzterer fasziniert durch sein geheimnisvolles, dunkles Wesen. Immer wieder trifft Ludwig auf seinen Reisen auf die gleichen Nebenfiguren, die man so besser kennen lernt: Den Inquisitor Mart etwa, der überraschend hilfreich ist oder auch verschiedene Mitglieder des Ordens der Gerechtigkeit, geschickte und intelligente Gegenspieler der Seelenfänger. Sie alle können in ihren jeweiligen Facetten überzeugen und lassen die gesamte Handlung sehr lebendig wirken. Nur bei den Frauenfiguren wird es kritisch: Mit Gertrude gibt es zwar einen starken weiblichen Charakter, ansonsten aber sind sie alle entweder schön oder hässlich und erfüllen darüber hinaus keine wirkliche Funktion, was mich doch sehr gestört hat.
Insgesamt erinnerte mich die Reihe davon abgesehen in einigen Aspekten immer wieder an "Greatcoats" - im positiven Sinne. Auch hier streift der Protagonist mit zwei interessanten Wegbegleitern durch die Lande, versucht die Menschen zu retten und das Böse abzuwehren. Was "Schwarzer Dolch" allerdings fehlt, ist ein übergeordnetes Ziel. Im Laufe der Kapitel kristallisieren sich zwar ein paar Stränge und Bedrohungen heraus - etwa, indem sich Ludwig Feinde schafft oder versucht, herauszufinden, was es mit einer Prophezeiung auf sich hat -, aber es gibt kein großes Ganzes. Keine Bedrohung der Welt oder den Versuch, etwas zu erreichen. Das nimmt allem einiges an Spannung, da sich im Laufe der Zeit eine gewisse Gleichförmigkeit herausbildet, so unterschiedlich die Fälle auch sein mögen. Erst ganz am Schluss wird deutlich, dass in Band 2 wohl so einigen Fragen und offenen Strängen nachgegangen wird - denn das Buch endet mit einem ziemlich heftigen Cliffhanger, der noch einmal richtig aufrüttelt. Hoffnungen auf eine inhaltliche Steigerung kann man sich hier also definitiv machen.
FAZIT
Alexey Pehovs Auftakt zur neuen Reihe rund um die Seelenfänger ist toll geschrieben, keine Frage, und lebt insbesondere von den spannenden Charakteren. Doch weil der Protagonist kein großes Ziel hat, sondern die einzelnen Kapitel mehr abgeschlossene Aufträge behandeln, wirkt das Ganze weniger wie ein Buch als eine Sammlung von zusammenhängenden Kurzgeschichten. Da wäre bei der Welt definitiv mehr drin gewesen. So gibt es von mir gute 3,5 Punkte.
Titel: Schwarzer Dolch
Originaltitel: Страж
Autor: Alexey Pehov
Übersetzer: Christiane Pöhlmann
Verlag: Piper
Seitenzahl: 480 Seiten
ISBN-13: 978-3-492-70396-3
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