[Buchrezension] Das Lied der Krähen - Leigh Bardugo
"Wir kommen von Norden, wie geplant", sagte Kaz.
Jesper ließ den Kopf gegen den Schiffsrumpf sinken und sah zum Himmel. "Fein. Aber wenn Pekka Rollins uns alle umbringt, dann werde ich Wylans Geist dazu bringen, meinem Geist beizubringen, wie man Flöte spielt, nur damit ich euren Geistern so richtig auf den Geist gehen kann."
Brekkers Lippen zuckten. "Dann heuere ich Matthias' Geist an, um deinem Geist in den Arsch zu treten."
"Mein Geist wird keinen Umgang mit deinem Geist haben", antwortete Matthias steif, und dann fragte er sich, ob die Seeluft sein Hirn langsam auflöste.
Ketterdam ist nicht nur eine lebendige Hafenstadt voller Touristen und Kaufmänner, sie ist auch Brutstätte für allerlei zwielichtige Personen, die vor allem darauf aus sind, anderen ihr Geld abzuknöpfen. Kaz Brekker gehört zu eben diesen zwielichtigen Personen und ist der Anführer der Bande der Dregs, die sich mit ihrer Gewieftheit bereits einen Namen gemacht hat. Als er eines Tages einen überaus lukrativen, aber auch eigentlich unmöglichen Auftrag erhält, ist sein Ehrgeiz geweckt. Gemeinsam mit fünf sehr unterschiedlichen Helfern entwirft er einen Plan, um in das am Besten bewachte Gefängnis überhaupt einzubrechen. Sie alle verfolgen ihre ganz eigenen Ziele, müssen aber trotzdem zusammen halten, wollen sie überleben. Das allerdings ist deutlich leichter gesagt als getan...
MEINE MEINUNG
Ich bin nicht die Erste, aber ganz sicher auch nicht die Letzte, die sich ein eigenes Bild machen musste vom "Lied der Krähen", das in die Buchwelt eingeschlagen hat wie selten ein Fantasy-Roman zuvor. Die "Grischa"-Reihe von Leigh Bardugo, die im selben Universum spielt, habe ich nicht gelesen, aber zum Glück kann die "Glory or Grave"-Dilogie auch ohne Vorwissen richtig Spaß machen. Erzählt wird sie aus insgesamt fünf Perspektiven, wobei Bandenführer Kaz jedoch am Häufigsten zu Wort kommt. Diese Art der Erzählung hätte bei anderen schnell verwirrend sein können, die Autorin meistert sie aber beeindruckend gut. Der Schreibstil ist wunderbar bildlich, voller Gerüche und Geschmäcker und Gefühle, was dazu beiträgt, dass einen die Atmosphäre schnell gefangen nimmt. Am meisten überzeugen können aber die sehr glaubwürdigen, mal schlagfertig-witzigen, mal gefühlvollen, mal von Zorn getriebenen Dialoge, die einen die Charaktere auch außerhalb ihrer eigenen Perspektiven gut kennen lernen lassen.
Nachdem in letzter Zeit in Fantasy-Romanen aufopferungsvolle, immerzu verliebte und damit sehr langweilige Figuren auf dem Vormarsch zu sein scheinen, sind die verschiedenen, oft ambivalenten Figuren hier eine echte Erfrischung. Es gelingt das Kunsstück, dass man die Charaktere im einen Moment nicht leiden kann, nur um sie kurz darauf zu lieben, weil sie so menschlich sind: Der egoistische, gefährlich lebende Kaz Brekker, der ein altes Trauma mit sich herumschleppt; der spielsüchtige Adrenalinjunkie Jesper; die unglaublich leise und doch so starke Inej; der auf Rache sinnende Hexenjäger Matthias; und die magisch begabte, von Schuldgefühlen geplagte Nina. Der sechste Hauptcharakter, Bombenbauer und Kaufmannssohn Wylan, kommt nicht selbst zu Wort, aber durch die Augen der anderen hat man nichtsdestotrotz das Gefühl, ihn zu kennen. Diese unterschiedlichen Protagonisten mit ihren Geheimnissen und dunklen Vergangenheiten sind das, was das Buch so besonders macht, auch wenn für Nebenfiguren dann schon fast kein Platz mehr ist. Einzig und allein gestört hat mich, dass alle Personen so unfassbar jung sind, was ihren vielen Taten und Errungenschaften manchmal die Glaubwürdigkeit nimmt.
Anfangs brauchte das Buch für mich einige Zeit, um seine volle Wirkung zu entfalten - Ketterdam ist düster und dreckig und sehr komplex, und nicht nur muss man sich in dieser Stadt zurechtfinden, sondern auch mit den Gegebenheiten. Das bessert sich aber irgendwann und spätestens, wenn man die Figuren zu verstehen beginnt und sich an sie bindet - ob man will oder nicht -, kommt man kaum noch zur Ruhe. Trotz vieler Rückblicke wird es nie langweilig, denn gerade durch das Verständnis für Motive und Hintergründe kann man auch jeweilige Entscheidungen besser nachvollziehen. Richtig großartig wird es dann aber auf den letzten 200 Seiten, als der Coup, den die Sechs durchführen wollen, in vollem Gange ist und es nicht nur zu so einigen brenzligen Situationen kommt, sondern auch zu großen Überraschungen, die atemlos zurücklassen. Dabei hofft und bangt man gemeinsam mit den Figuren, nicht nur wenn es ums Überleben geht, sondern auch im Bezug auf die ein oder anderen tieferen Gefühle. Es gibt langsam schwelende und dennoch sehr intensive Romantik, die sich nie in den Vordergrund drängt und gerade deswegen so überzeugend ist. Der Schluss ist actionreich, unerwartet und lässt einem mit dem Gefühl zurück, dass Band 2 noch viel epischer wird - und wenn man den Kritiken glauben darf, trügt dieser Eindruck nicht.
FAZIT
Epische Fantasy mit durchdachten Figuren, die einem trotz - oder gerade wegen - ihrer Ecken und Kanten ans Herz wachen, das ist "Das Lied der Krähen". Die ideenreiche Geschichte mit viel Action brauchte bei mir etwas Anlaufzeit, konnte mich dann aber überzeugen. Band 2, "Crooked Kingdom" gibt es im Original bereits - und wird hoffentlich auch bald übersetzt. Sehr gute 4 Punkte.
Meine Empfehlung für alle, die sich von einer komplexen Geschichte nicht abschrecken lassen und mehr Wert auf Figuren und Inhalt als auf Romantik legen.
Huhu :)
AntwortenLöschenBei mir liegt das Buch auch schon auf dem SuB bereit und nach den vielen positiven Rezensionen freue ich mich jetzt richtig auf die Geschichte!
Liebe Grüße,
Lisa von Prettytigers Bücherregal (Blog & Facebook)