[Buchrezension] Beale Street Blues - James Baldwin
Sharon hatte die ganze Zeit über nichts gesagt. Ernestine hatte mich ihr übergeben, aber Sharon hatte mich gar nicht angefasst. Sie hatte was viel Verrückteres gemacht, nämlich mich gehalten und beruhigt - ohne mich zu berühren.
"Na denn", sagte sie, "die Männer sind wohl eine Weile weg, und Tish braucht Ruhe. Gehen wir schlafen."
Aber ich wusste, dass sie mich ins Bett schickten, damit sie noch ein bisschen aufbleiben konnten, ohne mich, ohne die Männer, ohne irgendwen, um damit fertigzuwerden, dass Fonnys Familie sich einen Dreck um ihn scherte und keinen Finger rühren würde, um ihm zu helfen. Wir waren jetzt seine Familie, die einzige Familie, die er hatte: Jetzt hing alles von uns ab.
INHALT
Seit ihrer Kindheit waren Tish und Fonny bereits befreundet, bevor sie ihre Liebe zueinander entdeckten. Nun ist Tish schwanger. Alles könnte so gut sein, säße Fonny nicht im Gefängnis für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Denn beide sind schwarz - und der Rassismus in Amerika ist so tief verankert, dass allein die Hautfarbe ausreicht, um angeklagt zu werden. Tishs Familie unternimmt alles, um den jungen Mann aus dem Gefängnis zu holen, doch mit unzuverlässigen Zeugen und der Aussage eines Polizisten scheint das Unterfangen beinahe aussichtslos...
MEINE MEINUNG
"Beale Street Blues", das vorletzte Werk des afroamerikanischen Autors James Baldwin, erzählt die Geschichte einer Liebe, die unter keinem guten Stern steht - allein, weil die Liebenden nicht weiß sind. Es erzählt die Geschichte eines Justizsystems, das so von Vorurteilen und Rassismus durchdrungen ist, dass Gerechtigkeit unmöglich scheint. Und vor allem stammt es aus dem Jahre 1974, spielt also auch vor über 40 Jahren - und trotzdem habe ich das während des Lesens immer wieder vergessen. Das verdeutlicht nicht nur die Zeitlosigkeit der Erzählung, sondern, viel schlimmer, dass sich seitdem zu wenig geändert hat. Und das ist erschreckend.
Tish und Fonny kennen sich seit ihrer Kindheit, sind gemeinsam aufgewachsen und haben nun auch tiefere Gefühle füreinander entdeckt. Doch kaum sind sie miteinander glücklich, werden sie schon wieder auseinander gerissen. Es lohnt sich, nicht den Klappentext zu lesen, weil im Roman selbst erst sehr spät angesprochen wird, weshalb genau Fonny nun eigentlich im Gefängnis sitzt. Denn Erzählerin Tish - beeindruckend glaubwürdig von einem Mann geschrieben - geht viel auf die gemeinsame Geschichte ein, auf die Zusammengehörigkeit, die die schwarzen Bürger miteinander empfinden, auf die Familien und ihre Zukunft. Alle Figuren zeichnet eine große Ambivalenz aus: Einerseits fühlen sie den Rassismus der weißen Mitbürger, andererseits handeln sie umgekehrt mittlerweile auch so; einerseits sind die meisten Figuren Frauen, andererseits behandeln sie andere ihres Geschlechtes mit wenig Mitgefühl. Tish als Protagonistin ist dagegen eine sehr sanfte Erzählerin, die trotzdem mit ihrem Mut begeistert.
Schwierig ist aber, sich darüber klar zu werden - und vor allem in Worte zu fassen -, was man da beim Lesen eigentlich fühlt und erlebt. Da ist zum einen dieses Leben, das sich nicht nur von dem der jetzigen Zeit unterscheidet, sondern differenzierter auch von dem, das "wir Weißen", zu denen ich nun einmal gehöre, führen. White Privilege ist kein Mythos, sondern Fakt, und das merken die Protagonisten hier ganz deutlich: Ein weißer Polizist ist es, der ihnen das größte Leid zufügt, das sie sich hätten ausmalen können. Das resultiert in gegenseitigem Hass, obwohl ein weißer Anwalt versucht, ihnen zu helfen. Zum anderen ist es schwierig, herauszulesen, welche Ansichten der Autor selbst hier eigentlich vertritt: Die Frauen werden geschlagen, sie ziehen sich gegenseitig in den Schmutz, das Opfer der Vergewaltigung wird ohne Nachsicht behandelt - sind Frauen also weniger wert? Oder bietet das Ganze nur eine Sicht darauf, wie sehr Menschen verrohen, wenn sie immer nur schlecht behandelt werden? In diesem Zusammenhang ist das Nachwort von Daniel Schreiber sehr wichtig, das tiefere Einblicke bietet und hilft, die Geschehnisse einzuordnen. Und über diese nachzudenken, was nach der Lektüre unvermeidlich ist.
Tish und Fonny kennen sich seit ihrer Kindheit, sind gemeinsam aufgewachsen und haben nun auch tiefere Gefühle füreinander entdeckt. Doch kaum sind sie miteinander glücklich, werden sie schon wieder auseinander gerissen. Es lohnt sich, nicht den Klappentext zu lesen, weil im Roman selbst erst sehr spät angesprochen wird, weshalb genau Fonny nun eigentlich im Gefängnis sitzt. Denn Erzählerin Tish - beeindruckend glaubwürdig von einem Mann geschrieben - geht viel auf die gemeinsame Geschichte ein, auf die Zusammengehörigkeit, die die schwarzen Bürger miteinander empfinden, auf die Familien und ihre Zukunft. Alle Figuren zeichnet eine große Ambivalenz aus: Einerseits fühlen sie den Rassismus der weißen Mitbürger, andererseits handeln sie umgekehrt mittlerweile auch so; einerseits sind die meisten Figuren Frauen, andererseits behandeln sie andere ihres Geschlechtes mit wenig Mitgefühl. Tish als Protagonistin ist dagegen eine sehr sanfte Erzählerin, die trotzdem mit ihrem Mut begeistert.
Schwierig ist aber, sich darüber klar zu werden - und vor allem in Worte zu fassen -, was man da beim Lesen eigentlich fühlt und erlebt. Da ist zum einen dieses Leben, das sich nicht nur von dem der jetzigen Zeit unterscheidet, sondern differenzierter auch von dem, das "wir Weißen", zu denen ich nun einmal gehöre, führen. White Privilege ist kein Mythos, sondern Fakt, und das merken die Protagonisten hier ganz deutlich: Ein weißer Polizist ist es, der ihnen das größte Leid zufügt, das sie sich hätten ausmalen können. Das resultiert in gegenseitigem Hass, obwohl ein weißer Anwalt versucht, ihnen zu helfen. Zum anderen ist es schwierig, herauszulesen, welche Ansichten der Autor selbst hier eigentlich vertritt: Die Frauen werden geschlagen, sie ziehen sich gegenseitig in den Schmutz, das Opfer der Vergewaltigung wird ohne Nachsicht behandelt - sind Frauen also weniger wert? Oder bietet das Ganze nur eine Sicht darauf, wie sehr Menschen verrohen, wenn sie immer nur schlecht behandelt werden? In diesem Zusammenhang ist das Nachwort von Daniel Schreiber sehr wichtig, das tiefere Einblicke bietet und hilft, die Geschehnisse einzuordnen. Und über diese nachzudenken, was nach der Lektüre unvermeidlich ist.
FAZIT
"Beale Street Blues" ist kein einfacher Roman: Schwer einzuordnen, mit komplexen Charakteren, die abgesehen von der Hautfarbe nicht in Schwarz und Weiß unterteilt werden können. Er ist auch keine Liebesgeschichte, wie man vielleicht durch den Trailer zur neuesten Verfilmung glauben könnte. Aber er ist wichtig. Er zeigt auf, wie essentiell es ist, sich gegen Rassismus zu stellen, gegen die schlechte Behandlung von Frauen, gegen Vorurteile. Es hat sich bisher zu wenig geändert, das wird während des Lesens immer wieder klar. Dringend lesenswert! 4 Punkte.
Hi, Sonne.
AntwortenLöschenEs wird wohl immer Leute geben, die sich ein vermeintliches "Alleinstellungsmerkmal" zusammenkleistern, um andere Menschen ausgrenzen zu können. Sei es aus Kalkül, Arroganz oder schlichter Dummheit.
Wobei sich die "Ich-bin-was-Besseres"-Allüre auch in kleineren Dingen beobachten lässt.
Die eigene Menschlichkeit offenbart sich erst in der menschgemachten Hölle. Und Umstände können eine eigene Verrohung nicht rechtfertigen. Denke ich.
Zusammenhänglich, eine Filmempfehlung für 'Green Book'...
bonté